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13 AUG 2023
Artspezifische Unterschiede in kognitiven Fähigkeiten
Für meinen wissenschaftlichen Hochschulabschluss habe ich verschiedene kognitive Fähigkeiten von Primaten untersucht. Zum Einsatz kamen standardisierte Intelligenztests, die wir eigens an die speziellen Fähigkeiten der nachtaktiven Tiere angepasst haben. So konnten wir das Lernvermögen wilder Mausmakis in ihrem natürlichen Lebensraum in Madagaskar untersuchen
Die Doktorarbeit in der Biologie – ein mehrjähriges Großprojekt mit vielen Teilprojekten
Eine naturwissenschaftliche Doktorarbeit ist mit einer medizinischen Doktorarbeit nicht zu vergleichen. In der Biologie geht es normalerweise um eine wissenschaftliche Fragestellung, die mit mehreren Teilprojekten untersucht wird – standardmäßig drei Projekte, die dann (möglichst) in drei Publikationen veröffentlicht und im Rahmen der Dissertation (= Doktorarbeit) in drei Kapiteln zusammengefasst werden.
Häufig ist der erste Teil eine umfassende Literaturrecherche zu dem Thema: In einem Review oder einer Metaanalyse werden die Erkenntnisse vorhergehender Publikationen zu diesem Thema zusammengefasst und dahingegen bewertet, inwiefern sie allgemeingültig sind – ob es bestimmte Muster gibt, die erst sichtbar werden, wenn man die Erkenntnisse mehrerer Studien vergleicht.
Der zweite und dritte Teil umfasst dann experimentelle Projekte, in denen spezifische Fragestellungen, die aus der Literaturrecherche resultierten, empirisch (systematisch, messbar; siehe auch Wissenschaftlich basiert ins Verhaltenstraining für Tiere) untersucht werden.
Der Plan meiner Doktorarbeit
Für meine Doktorarbeit war geplant, die Erkenntnisse einer vorhergehenden Doktorarbeit der Forschungsgruppe zu erweitern. Meine Kollegin hatte sich dabei auf intra-spezifische (also innerartliche) Unterschiede von grauen Mausmakis (Microcebus murinus) fokussiert und dabei auch untersucht, ob intelligentere Individuen länger überleben. In meiner Doktorarbeit sollte es dann nicht nur um intra-spezifische Unterschiede gehen, sondern insb. um inter-spezifische (also zwischenartliche) Unterschiede zwischen grauen Mausmakis und Mme Berthe’s Mausmakis (M. berthae). Außerdem sollte ebenfalls untersucht werden, inwieweit kognitive Fähigkeiten zu besserer Fitness (Fortpflanzungserfolg und Überlebenschancen) verhelfen, und inwieweit das Gedächtnis durch Überlebensstrategien beeinflusst wird (mein Herzensthema). Du siehst also, das war als ein sehr umfassendes Großprojekt geplant.
Eine Sache, die man während der Promotion lernt ist, flexibel auf die gegebenen Umstände zu reagieren. Für mich bedeutete das zunächst, dass ich in den drei Jahren (das ist der übliche – viel zu kurze – Zeitraum, über den eine Doktorarbeit in der Biologie finanziert wird) einen Fokus auf die Datenaufnahme setzte und während der Auswertung der fast 4000 Videos festlegte, welche Fragestellungen Teil meiner Dissertation werden. Und die einzelnen Kapitel schauen wir uns jetzt nacheinander an. Ich beschränke mich dabei auf das Wesentliche – die Doktorarbeit habe ich ja schließlich schon einmal geschrieben 😉
Hypothesen und Annahmen
Kognition und Evolution sind sehr komplexe Themen und viele Erkenntnisse konnten erst in den letzten Jahren gewonnen werden, als Methoden, das Gehirn zu untersuchen, möglich wurden. Eine Kernfrage ist dabei, warum ausgerechnet wir Menschen so erfolgreich sind und welche Unterschiede zu nicht-menschlichen Tieren (denn auch wir sind Tiere!), insb. zu nicht-menschlichen Primaten (denn auch wir sind Primaten!) uns zur „Weltherrschaft“ verhelfen. Neben den Hypothesen zur ökologischen und sozialen Intelligenz, spielt auch die Hypothese zur generellen Intelligenzeine Rolle in der aktuellen Kognitionsforschung.
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Die ökologische und soziale Intelligenz sind allerdings keine Gegenspieler. Manche Forschende vertreten zwar die Meinung, dass nur ökologische (z.B. Lebensraumstruktur, Verbreitungsgebiet, Nahrungsaufkommen) oder nur soziale Faktoren (z.B. Gruppengröße, Gruppenstruktur) bestimmen, wie intelligent ein Lebewesen ist und stützen das auf mehr oder weniger konsistente Forschungsergebnisse. Andere Forschende sind der Meinung, dass es nicht um entweder oder geht, sondern um eine Kombination von ökologischen und sozialen Faktoren – ich sehe das übrigens genauso.
Nun ist es bei Mausmakis so, dass diese nachtaktiven Lemuren in ihrem natürlichen Lebensraum in Madagaskar als Einzelgänger (= solitär) leben. Ähnlich wie Katzen verbringen sie den aktiven Teil des Tages zur Nahrungssuche alleine, schlafen aber ansonsten gerne in kleinen Gruppen – das dient wohl auch der Sicherheit. Die soziale Intelligenz spielt also vermutlich eher eine untergeordnete Rolle in der Ausprägung kognitiver Fähigkeiten von Mausmakis. Eher sind es artspezifische Anpassungen an ökologische Bedingungen, die mit der Evolution bestimmter Fähigkeiten zusammenhängen.
Übrigens: ob die ökologischen Bedingungen ausschlaggebend für die kognitiven Fähigkeiten sind, oder die Fähigkeiten ausschlaggebend für die Anpassung an die ökologischen Bedingungen, das ist quasi nicht möglich zu eruieren (Wer war zuerst da, die Henne oder das Ei?) Wir können, aber gut untersuchen, ob und inwieweit das eine mit dem anderen zusammenhängt und damit „nur“ untersuchen, ob sich Anpassungen an ökologische Bedingungen und kognitive Fähigkeiten parallel entwickeln (coevolve).
Ökologische Anpassung und Spezialisierung
Aus dem Biologieunterricht ist dir sicherlich noch bekannt, dass eine ökologische Nische nur von genau einer Art besetzt sein kann. Bei einer ökologischen Nische sprechen wir von der Gesamtheit aller Umweltfaktoren, denen eine Art ausgesetzt ist, also z.B. Nahrungsangebot, Raubtiervorkommen, Habitatstruktur. Jeder Faktor beinhaltet viele verschiedene Ausprägungen, Typen. Und so kann eine Art theoretisch an viele verschiedene Typen angepasst sein – dann spricht man bei der Art von einem Generalisten. Weil es energetisch aber viel zu aufwändig und morphologisch unmöglich ist, an alle möglichen Typen bestmöglich angepasst zu sein, gibt es Spezialisten, die zwar an weniger Typen, aber dafür an diese umso besser angepasst sind (vergleiche unsere Berufe: IT-Spezialisten sind besonders gut bei allem, das sich um Computer dreht; ElektrikerInnen können sich um alle grundlegenden Fragen der Elektrik kümmern, haben aber nicht unbedingt detaillierte Kenntnisse zu bestimmter PC-Hardware (außer, sie haben sich darauf spezialisiert 😉)). Und so ist jede Art im Vergleich zu einer anderen entweder weniger oder mehr spezialisiert in Bezug auf einen Umweltfaktor. Wir Menschen gelten übrigens als außerordentliche Generalisten.
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Und das ist der Grund, warum mehrfach die Idee aufkam, dass Generalisten allgemein intelligenter wären als Spezialisten. Allerdings gab es bisher keine Studien, die das systematisch untersucht haben – das war also eine Wissenslücke. Aus dieser hat sich die grundlegende Fragestellung meiner Doktorarbeit entwickelt:
Wie hängt der Grad der ökologischen Spezialisierung mit kognitiven Fähigkeiten zusammen?
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Studie 1: Linking ecology and cognition: does ecological specialization predict cognitive test performance?
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Um erstmal einen Überblick zu schaffen, habe ich online Literatursammlungen durchforstet nach experimentellen Studien, die kognitive Fähigkeiten zwischen zwei Arten verglichen haben.
Unfassbar, aber wir haben nur 25 Studien gefunden, die das bereits mit einem ökologischen Hintergrund getan hatten – u.a. eine Pilotstudie aus meiner Masterarbeit. Die meisten dieser Studien haben entweder Säugetiere oder Vögel im Hinblick auf ihre räumlichen Fähigkeiten (bspw. räumliches Lernen, Navigation) oder ihre Flexibilität untersucht und sich dabei auf die Nahrungs- und/oder Habitatspezialisierung fokussiert. Das sind die beiden ökologischen Faktoren, die meistens untersucht werden – vielleicht, weil sie einfach zu messen sind oder als ausschlaggebend für die ökologische Anpassung gehalten werden.
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Bei dieser geringen Stichprobe an vergleichenden Studien ist es schwer eine Aussage über ein bestimmtes Muster zu treffen. Was unsere statistischen Analysen allerdings zeigten ist, dass weder die relativen Unterschiede in Gehirngrößen, noch die relativen Unterschiede in der Gruppengröße (als Maß für die Komplexität des sozialen Systems) konsequent mit der Variabilität der gemessenen kognitiven Fähigkeiten zusammenhängen. Dagegen konnte diese Variabilität in fast allen Fällen mit der artspezifischen Anpassung an ökologische Faktoren erklärt werden. Nur eben nicht zwingend mit dem Grad der Spezialisierung – Habitatgeneralisten (Arten, die in vielen verschiedenen Lebensräumen vorkommen) schnitten allerdings tendenziell besser ab als Habitatspezialisten (Arten, die in weniger Lebensräumen vorkommen) in Tests, in denen räumliche Fähigkeiten und flexibles Problemlösen getestet wurde.
Offen blieb nun: Was ist mit den anderen kognitiven Fähigkeiten? Schließlich besteht das Leben aus mehr als nur räumlichen Problemen und flexiblen Anpassungsfragen.
Studie 2: Linking cognition to ecology in wild sympatric mouse lemur species
Das war also das Herzstück meiner Doktorarbeit: eine umfassende Datenaufnahme zu 22 kognitiven Fähigkeiten, die ich mit 12 experimentellen Tests gemessen habe. Als Studienobjekte dienten wilde Mausmakis – 118 Grauen Mausmakis und 32 Mme Berthe’s Mausmakis, die sehr nah miteinander verwandt sind, im Kirindy Wald auf Madagaskar sympatrisch (gleichzeitig) vorkamen (Vergangenheit, weil s.u.) und eine vergleichbare Sozialstruktur hatten. Diese Schwesterarten waren perfekt für die Studie, weil sie eben in demselben Gebiet lebten und damit denselben Umweltbedingungen ausgesetzt waren. Allerdings hatten sie unterschiedliche Anpassungen an ökologische Bedingungen entwickelt, unterschieden sich aber ansonsten kaum voneinander.
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Graue Mausmakis kommen in vielen verschiedenen Gebieten und Habitatstrukturen im Westen Madagaskars vor – sie sind Habitatgeneralisten. Außerdem haben sie ein breites Nahrungsspektrum und ernähren sich, je nach saisonaler Verfügbarkeit, von Insektensekreten, Harz, Insekten und kleinen Reptilien, Blüten, Früchten, etc. – sie sind also auch Nahrungsgeneralisten.
Mme Berthe’s Mausmakis, die nur halb so groß waren als Graue Mausmakis und damit als die kleinsten Primaten der Welt galten, kamen nur in einem kleinen Verbreitungsgebiet mit spezifischer Habitatstruktur im Westen Madagaskars vor – sie waren Habitatspezialisten. Sie haben sich v.a. und insb. das ganze Jahr über von Insektensekreten ernährt und galten deshalb auch als Nahrungsspezialisten.
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Experimente
Die wilden Lemuren haben wir in Volieren im Forschungscamp, das direkt im Wald liegt, für max. drei Nächte gehalten, bevor wir sie wieder dort freigelassen haben, wo wir sie mit Lebendfallen gefangen hatten. Meine fleißigen HelferInnen und ich haben den Lemuren also verschiedene Aufgaben gegeben, bei denen sie sich eine Belohnung holen konnten. Und zwar Banane – Mausmakis lieben Banane, so schön süß und lecker.
Wenn die Lemuren Lust hatten mit uns zu arbeiten, dann sind sie zum Volierengitter gekommen, haben sich mit einem Stock, den wir mit Banane eingerieben hatten, an ihren Startpunkt gelockt und dann haben wir ihnen den jeweiligen Apparat in die Voliere gegeben. Mausmakis sind sehr neugierige Tiere und riechen sehr gut, sodass sie gerne freiwillig an den Apparaten exploriert haben. Teilweise wollten sie sogar weiter machen, wenn sie ihre Versuchsanzahl schon voll hatten und dann tat es mir schon leid, dass sie nicht weitermachen durften. Das Bananenstück als Belohnung hat sie dann aber wieder zufriedengestellt – und wenn nicht, dann spätestens die Heuschrecken oder Kakerlaken, mit denen wir sie sonst gefüttert haben.
Jeden einzelnen Versuch haben wir gefilmt und im Nachhinein sorgfältig ausgewertet: inwieweit haben sie die Räume und Gegenstände exploriert, wie erfolgreich waren die Tiere, haben sie die Aufgaben direkt richtig gelöst (und sind nicht gegen die transparente Röhre gelaufen), bzw. wie lang haben sie gebraucht, um immer richtig zu liegen (und nicht zuerst die anderen Förmchen zu prüfen), usw.
Ergebnisse
Bei der statistischen Analyse haben wir dann festgestellt, dass manchmal die Grauen Mausmakis erfolgreicher waren und manchmal die Mme Berthe’s Mausmakis schneller gelernt hatten. In einigen der Tests haben sich die beiden Arten allerdings nicht unterschieden. Die gefundenen Unterschiede und Gemeinsamkeiten konnten wir gut mit den artspezifischen Anpassungen an ihre ökologische Nische erklären, allerdings nicht mit ihrem Grad der Spezialisierung. D.h. wir kamen zum gleichen Schluss, wie es bereits die Literaturrecherche ergeben hatte.
Das möglicherweise wichtigste Ergebnis war, dass sich Graue Mausmakis innovativer zeigten, als Mme Berthe’s Mausmakis. Das ist eine wichtige kognitive Fähigkeit, wenn sich Lebensbedingungen unerwartet verändern. Innovative Fähigkeiten sind bei Generalisten häufig besser ausgeprägt als bei Spezialisten. Das gibt ihnen die Möglichkeit, sich schneller an verschiedene Bedingungen anzupassen und das kann überlebenswichtig sein.
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Diskussion
Zusammenfassend deuten also alle Untersuchungen meiner Doktorarbeit darauf hin, dass kognitive Fähigkeiten nicht mit dem Grad der ökologischen Spezialisierung zusammenhängen. Allerdings können sie in vielen Fällen sehr gut mit artspezifischen Anpassungen an ökologische Bedingungen erklärt werden.
Trotzdem sind diese Studien nur Puzzleteile im großen Feld der Kognitionsforschung. Viele weitere Studien sind nötig, um allgemeingültige Muster auch über verschiedene Arten feststellen zu können. Dafür ist es notwendig, dass Experimente möglich gleich durchgeführt und ausgewertet werden. Das ist ein großes Problem in der Wissenschaft und der Arbeit mit Tieren, weil man bei diesen Problemlöseaufgaben natürlich die Möglichkeiten der verschiedenen Arten berücksichtigen muss. Ein Fisch kann ja z.B. schlecht seine Flossen verwenden, um etwas festzuhalten und gleichzeitig etwas anderes zu bewegen.
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Wie es bisher weiter ging
Die Mengen an Videos haben wir auch im Hinblick auf andere Forschungsfragen ausgewertet.
Gedächtnis von Grauen Mausmakis
In Madagaskar herrscht eine ausgeprägte Saisonalität zwischen Regen- und Trockenzeit. In der Regenzeit ist es heiß und in der Trockenzeit kalt (nachts einstellige Temperaturen!). Um in der kalten Trockenzeit, in der die Nahrungsverfügbarkeit stark verringert ist, Energie zu sparen und nicht für die Wärmeproduktion verwenden zu müssen, halten manche Grauen Mausmakis Winterschlaf – im Kirindy Wald nur erwachsene Weibchen. Warum, das ist nicht abschließend geklärt.
Das Problem beim Winterschlaf ist allerdings, dass dabei Synapsen im Gehirn umstrukturiert und neu organisiert werden (grob gesagt) und dadurch zuvor Gelerntes verlorengehen kann. Soweit die Theorie, für die es auch ein paar empirische Belege gibt. Wie so oft in der Wissenschaft, sind aber auch diese Ergebnisse kontrovers und andere Studien finden keinen Unterschied im Gedächtnis zwischen Individuen, die Winterschlaf halten und denen, die keinen Winterschlaf halten. Jedoch wird dieser Winterschlaf extra ausgelöst bzw. verhindert, indem Lichtverhältnisse und Nahrungsangebote entsprechend angepasst werden. Das könnte evtl. die Studienergebnisse verfälschen.
Graue Mausmakis, bei denen ein Teil der Tiere in der freien Natur Winterschlaf hält, während der andere Teil aktiver bleibt, sind also ein ideales Studienobjekt, um zu untersuchen, wie gut sie sich Zusammenhänge merken können, die sie vor der Winterschlafperiode gelernt haben. Und genau das haben wir gemacht. Wir haben Weibchen und Männchen entweder die visuelle Diskriminierung beigebracht, oder einen räumlichen Zusammenhang im Plus maze lernen lassen bevor die Weibchen ihren Winterschlaf angetreten haben. Während der Winterschlafperiode haben wir die Aktivitätslevel einiger Tiere mit speziellen Aktivitätsloggern gemessen. Und sobald die Weibchen wieder aufgewacht sind, haben wir Weibchen und Männchen mit ihrer zuvor durchgeführten Aufgabe getestet und überprüft, wie gut sie sich an die gelernten Zusammenhänge erinnern konnten.
Total interessant: die aktiveren Männchen konnten sich die gelernten Zusammenhänge sehr viel schlechter merken als die Winterschlaf-haltenden Weibchen. Und nochmal interessanter: die Tiere, die einen räumlichen Zusammenhang gelernt hatten, konnten sich diesen besser merken, während Tiere, die einen visuellen Zusammenhang gelernt hatten, sich diesen weniger gut merken konnten.
Kognitive Fähigkeiten und Fitness
Alle Daten, die während der Doktorarbeiten meiner Vorgängerin und mir von Grauen Mausmakis gesammelt wurden, haben wir außerdem dahingegen ausgewertet, ob bessere kognitive Fähigkeiten die Überlebenschancen (Fitness) steigern. Daten von fast 200 Grauen Mausmakis sind in diese Analysen eingegangen und die langjährige und regelmäßige Überprüfung der Population gibt einen relativ sicheren Eindruck vom Alter und Überleben der einzelnen Individuen. Kurz gesagt: Individuen leb(t)en länger, wenn sie in den Intelligenztests besser abschnitten, generell schwerer waren, und/oder explorativer waren. Wenn das ein allgemeines Muster ist, dann könnte das bedeuten, dass Intelligenz ausschlaggebend für das Überleben ist – das würde auch uns Menschen und andere Tiere betreffen.
Artenschutz und die kleinsten Primaten der Welt
Dir ist aufgefallen, dass ich, im Vergleich zu Grauen Mausmakis, nur einen Bruchteil an Mme Berthe’s Mausmakis getestet hatte. Das hängt einerseits damit zusammen, dass es im Kirindy Wald einfach sehr viel weniger Mme Berthe’s Mausmakis gab. Andererseits hängt es damit zusammen, dass ich nach zwei Drittel der Datenaufnahme keine Mme Berthe’s Mausmakis mehr gefunden habe.
Diese Art wurde erst Anfang der 1994, bzw. 2000 beschrieben. Ihre Populationsdichte hat sich über die vergangenen 10 Jahre sehr stark verringert, bis sie seit 2019 in ihrem hauptsächlichen Verbreitungsgebiet – dem Kirindy Wald – gar nicht mehr zu finden sind. Mme Berthe’s Mausmakis gelten darum als kritisch vom Aussterben bedroht, wobei sie das evtl. bereits schon sind.
Warum sie Überlebensprobleme haben, hängt wahrscheinlich mit verschiedenen Faktoren zusammen. U.a. der Klimawandel trägt dazu bei, dass sich ihr Habitat sehr stark verändert und z.B. auch die Insekten, von deren Sekreten sie sich hauptsächlich ernähren, kaum noch vorkommen. Wie unsere Intelligenztests zeigten, haben Mme Berthe’s Mausmakis Schwierigkeiten, sich flexibel an neue Gegebenheiten anzupassen und neue, innovative Problemlösungen zu finden. Dieser Mangel an Flexibilität wurde ihnen u.U. bei den fortschreitenden extremen und viel zu schnellen Veränderungen des Lebensraums zum Verhängnis.
Ich möchte hier allerdings keine (noch) nicht bestätigten, u.U. nicht (vollständig) korrekten Zusammenhänge kundtun. Wenn dich das Thema interessiert und du mehr darüber wissen möchtest, dann informiere dich bei entsprechenden Quellen über den aktuellen Forschungsstand. Du kannst den Artenschutz, insb. von madagassischen Lemuren, auch aktiv unterstützen, indem du die Maßnahmen finanziell unterstützt. Eine Organisation, die sich für den Artenschutz von Primaten auf Madagaskar, aber auch in anderen Gebieten einsetzt, ist Chances for Nature. Die von Wissenschaftlern gegründete Organisation schult u.A. Einheimische, gibt ihnen nachhaltigere Lösungsmöglichkeiten für alltägliche Probleme, stärkt das Bewusstsein für den notwendigen Artenschutz und initiiert viele Projekte, die zerstörte Lebensräume wieder aufbauen. Hier kannst du dich beteiligen!
Was hat das alles jetzt mit Haustieren oder Menschen zu tun?
Auf den ersten Blick erstmal nicht so viel. Auf den zweiten Blick wird aber klar, dass Menschen, Pferde, Hunde und Katzen genauso wie Mausmakis und andere Tiere bestmöglich an ihre Lebensbedingungen angepasst sind und genau deshalb in diesen Lebensbedingungen leben. Wenn wir nun Tiere domestizieren, d.h. für unsere Zwecke züchten, müssen wir bedenken, dass nicht nur ihre Morphologie daran angepasst ist, wie sie sich fortbewegen oder Nahrung akquirieren. Auch ihre kognitiven Fähigkeiten und Verhaltensweisen sind an diese Lebensbedingungen angepasst und passen nicht 100% mit unseren Anpassungen zusammen. Denn du erinnerst dich: nur 1 Art kann 1 ökologische Nische besetzen. Andere Arten unterscheiden sich min. in 1 Merkmal und besetzen damit eine zumindest leicht veränderte ökologische Nische. D.h. wir müssen uns immer bewusst machen, was die natürlichen Möglichkeiten und Bedürfnisse unserer Haustiere sind, dass wir diese beachten und auch befriedigen müssen. Für Pferde gilt das v.a. dahingegen, dass sie Fluchttiere sind und der Fluchtinstinkt quasi ein Reflex ist, den wir nicht ausschalten können. Für Hunde gilt bspw., dass sie ausgesprochen soziale Tiere sind, die auf ein Zusammenleben im Rudel angewiesen sind. Für Katzen gilt bspw., dass ihr Verdauungstrakt darauf ausgelegt ist ausschließlich tierische Nahrung zu verwerten – eine vegetarische oder gar vegane Ernährung kann von Katzen kaum umgesetzt werden und führt zu weitreichenden Mangelerscheinungen.