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Die ökologische und soziale Intelligenz sind allerdings keine Gegenspieler. Manche Forschende vertreten zwar die Meinung, dass nur ökologische (z.B. Lebensraumstruktur, Verbreitungsgebiet, Nahrungsaufkommen) oder nur soziale Faktoren (z.B. Gruppengröße, Gruppenstruktur) bestimmen, wie intelligent ein Lebewesen ist und stützen das auf mehr oder weniger konsistente Forschungsergebnisse. Andere Forschende sind der Meinung, dass es nicht um entweder oder geht, sondern um eine Kombination von ökologischen und sozialen Faktoren – ich sehe das übrigens genauso.

Nun ist es bei Mausmakis so, dass diese nachtaktiven Lemuren in ihrem natürlichen Lebensraum in Madagaskar als Einzelgänger (= solitär) leben. Ähnlich wie Katzen verbringen sie den aktiven Teil des Tages zur Nahrungssuche alleine, schlafen aber ansonsten gerne in kleinen Gruppen – das dient wohl auch der Sicherheit. Die soziale Intelligenz spielt also vermutlich eher eine untergeordnete Rolle in der Ausprägung kognitiver Fähigkeiten von Mausmakis. Eher sind es artspezifische Anpassungen an ökologische Bedingungen, die mit der Evolution bestimmter Fähigkeiten zusammenhängen.

Übrigens: ob die ökologischen Bedingungen ausschlaggebend für die kognitiven Fähigkeiten sind, oder die Fähigkeiten ausschlaggebend für die Anpassung an die ökologischen Bedingungen, das ist quasi nicht möglich zu eruieren (Wer war zuerst da, die Henne oder das Ei?) Wir können, aber gut untersuchen, ob und inwieweit das eine mit dem anderen zusammenhängt und damit „nur“ untersuchen, ob sich Anpassungen an ökologische Bedingungen und kognitive Fähigkeiten parallel entwickeln (coevolve).

Um erstmal einen Überblick zu schaffen, habe ich online Literatursammlungen durchforstet nach experimentellen Studien, die kognitive Fähigkeiten zwischen zwei Arten verglichen haben.

Unfassbar, aber wir haben nur 25 Studien gefunden, die das bereits mit einem ökologischen Hintergrund getan hatten – u.a. eine Pilotstudie aus meiner Masterarbeit. Die meisten dieser Studien haben entweder Säugetiere oder Vögel im Hinblick auf ihre räumlichen Fähigkeiten (bspw. räumliches Lernen, Navigation) oder ihre Flexibilität untersucht und sich dabei auf die Nahrungs- und/oder Habitatspezialisierung fokussiert. Das sind die beiden ökologischen Faktoren, die meistens untersucht werden – vielleicht, weil sie einfach zu messen sind oder als ausschlaggebend für die ökologische Anpassung gehalten werden.

Bei dieser geringen Stichprobe an vergleichenden Studien ist es schwer eine Aussage über ein bestimmtes Muster zu treffen. Was unsere statistischen Analysen allerdings zeigten ist, dass weder die relativen Unterschiede in Gehirngrößen, noch die relativen Unterschiede in der Gruppengröße (als Maß für die Komplexität des sozialen Systems) konsequent mit der Variabilität der gemessenen kognitiven Fähigkeiten zusammenhängen. Dagegen konnte diese Variabilität in fast allen Fällen mit der artspezifischen Anpassung an ökologische Faktoren erklärt werden. Nur eben nicht zwingend mit dem Grad der Spezialisierung – Habitatgeneralisten (Arten, die in vielen verschiedenen Lebensräumen vorkommen) schnitten allerdings tendenziell besser ab als Habitatspezialisten (Arten, die in weniger Lebensräumen vorkommen) in Tests, in denen räumliche Fähigkeiten und flexibles Problemlösen getestet wurde.

Offen blieb nun: Was ist mit den anderen kognitiven Fähigkeiten? Schließlich besteht das Leben aus mehr als nur räumlichen Problemen und flexiblen Anpassungsfragen.

Das war also das Herzstück meiner Doktorarbeit: eine umfassende Datenaufnahme zu 22 kognitiven Fähigkeiten, die ich mit 12 experimentellen Tests gemessen habe. Als Studienobjekte dienten wilde Mausmakis118 Grauen Mausmakis und 32 Mme Berthe’s Mausmakis, die sehr nah miteinander verwandt sind, im Kirindy Wald auf Madagaskar sympatrisch (gleichzeitig) vorkamen (Vergangenheit, weil s.u.) und eine vergleichbare Sozialstruktur hatten. Diese Schwesterarten waren perfekt für die Studie, weil sie eben in demselben Gebiet lebten und damit denselben Umweltbedingungen ausgesetzt waren. Allerdings hatten sie unterschiedliche Anpassungen an ökologische Bedingungen entwickelt, unterschieden sich aber ansonsten kaum voneinander.

Graue Mausmakis kommen in vielen verschiedenen Gebieten und Habitatstrukturen im Westen Madagaskars vor – sie sind Habitatgeneralisten. Außerdem haben sie ein breites Nahrungsspektrum und ernähren sich, je nach saisonaler Verfügbarkeit, von Insektensekreten, Harz, Insekten und kleinen Reptilien, Blüten, Früchten, etc. – sie sind also auch Nahrungsgeneralisten.

Mme Berthe’s Mausmakis, die nur halb so groß waren als Graue Mausmakis und damit als die kleinsten Primaten der Welt galten, kamen nur in einem kleinen Verbreitungsgebiet mit spezifischer Habitatstruktur im Westen Madagaskars vor – sie waren Habitatspezialisten. Sie haben sich v.a. und insb. das ganze Jahr über von Insektensekreten ernährt und galten deshalb auch als Nahrungsspezialisten.