
16 OKT 2023
(Wie) Beeinflusst Stress das Lernverhalten?
Stress hat viele Varianten und wir unterscheiden in erster Linie körperlichen Stress (z.B. körperliche Belastung) von psychischem Stress (z.B. Konfrontation mit neuen Situationen). Um es nicht allzu weit ausarten zu lassen, beschränke ich mich hier auf den psychischen Stress, der (genauso wie körperlicher) positiv oder negativ sein kann.
Was ist Stress?
Stress ist ein wichtiger Mechanismus in unserem Körper, um auf neue Situationen möglichst effizient zu reagieren. Vor allem, wenn wir unangenehmen Situationen, potenziellen Gefahren, oder auch Zeitdruck ausgesetzt sind, reagieren wir mit Stress – also einer unspezifischen Reaktion unseres Hormonsystems [1].
Ein gewisses Maß an Stress ist durchaus förderlich für Lern- und Trainingssituationen, weil auftretende hormonelle Reaktionen des Körpers schnell wieder zum Normalzustand runterreguliert und potentiell empfundenes Unwohlsein wieder vergehen. Diese Art von positivem Stress nennt man auch Eustress. Im Gegensatz dazu steht der negative Distress, der zu pathologischen Reaktionen des Stoffwechsels und Körpers führen und chronische Erkrankungen oder Verhaltensprobleme begünstigen kann [2].
Distress wollen wir also in jedem Fall vermeiden! (Note: nicht nur wir, sondern auch wir bei unserem Umgang mit unseren Pferden)
Stressreaktionen
Der Pferdekörper (auch der Menschenkörper) reagiert im Grunde mit zwei Hormonkaskaden auf Stresssituationen. Beide sorgen dafür, dass der Körper möglichst viel Energie bereitstellen kann, um wahrgenommene Herausforderungen (aka die Stresssituation) zu bewältigen.

Die Sympathikus-Nebennierenmark-Achse (kurz: SAM-Achse) ist verantwortlich für die kurzfristige „Fight-or-flight“-Reaktion (bzw. Fight,-flight-or-freeze-Reaktion), also eine sofortige physiologische Reaktion des autonomen Nervensystems auf Herausforderungen, die als Angriff oder Überlebensbedrohung empfunden werden [2]. Das Nebennierenmark stößt eine Hormonkaskade an, wodurch verschiedene Stresshormone und Neurotransmitter ausgeschüttet werden: das sympathische Nervensystem wird entladen, um den Körper auf Kampf (fight) oder Flucht (flight), bzw. Einfrieren (freeze) vorzubereiten (z.B. erhöhte Herzfrequenz, erhöhter Blutdruck, verringerte Magen-Darm-Aktivität). Maßgeblich für die Aktivität der SAM-Achse sind die Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin.
Übrigens: der Sympathikus ist nicht nur dafür verantwortlich in Stresssituationen eine Aktivität zu ermöglichen, sondern auch z.B. beim Aufwachen den Körper auf eine Aktion vorzubereiten – die Sympathikus-Aktivität ist also definitiv nicht immer negativ zu bewerten.
Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (kurz: HPA-Achse) wird auch als Stressachse bezeichnet [2]. Diese drei Hormondrüsen beeinflussen sich gegenseitig in ihrer Hormonausschüttung mit dem Resultat eines langfristigen, allgemeinen Anpassungssyndroms: Stressreaktionen werden kontrolliert und Stoffwechselprozesse im Körper reguliert, u.a. die Verdauung, das Immunsystem, die Stimmung und Gefühle, die Sexualität, die Energiespeicherung und -verwendung. Maßgeblich für die Aktivität der HPA-Achse ist das Stresshormon Cortisol.
An sich ist das also richtig gut, denn effizienter verteilte Energie heißt mehr Leistungsbereitschaft! Allerdings ist so ein erhöhter und spezifisch umgeleiteter Energieverbrauch auch richtig anstrengend und langfristig nicht optimal, weil viele andere Körperfunktionen abgeschwächt werden. Es geht also immer um das Ausmaß des Stresses.
Einschub: Wir haben die Definitionen vergessen!!
Ich mach’s kurz:
- Stress = unspezifischen Reaktion auf einen Stressor
- Stressor = ein Reiz, bzw. eine Kombination aus Reizen, die potenziell eine Bedrohung darstellt, z.B. wechselnde Bedingungen, Unter-/Überforderung, Angriff
- Stressreaktion = Reaktion des Hormonsystems, um Energie für die Bewältigung des Stressors bereitzustellen
Was passiert bei Stress?
Was auf Zellebene mit Hormonen und Neurotransmittern passiert, haben wir geklärt. Die Ausschüttung von diesen Botenstoffen ist allerdings nur der Start der ganzen Stressreaktion und ist Ausgangspunkt für viele verschiedene Prozesse im Körper. Zum Beispiel wird das Immunsystem geschwächt, Energiespeicher abgebaut (Folge: Gewichtsverlust, vermindertes Wachstum), oder die Magensekretion erhöht (Folge: Magengeschwüre).
Außerdem finden Verhaltensreaktionen statt, die wir entweder leicht erkennen können, weil sie aktiv sind (z.B. Kampf oder Flucht), oder etwas schwerer erkennen können, weil sie passiv sind (z.B. abnormales Verhalten, Stereotypien)[2,3]. Wichtig, insb. im Bezug auf Stereotypien ist, dass Pferde diese NICHT durch Zuschauen von anderen Pferden lernen (obwohl sie von anderen Pferden allein durch Zuschauen lernen können, dass deren Verhalten vorteilhaft ist). Wenn mehrere Pferde einer Gruppe die gleiche Stereotypie zeigen, dann liegt das höchst wahrscheinlich daran, dass sie alle denselben Stress erfahren, meistens bedingt durch die Haltung. Aber das nur nebenbei (schau dir dafür meinen Artikel zu den Lernfähigkeiten an).
Wissenschaftliche Stressmaße: Quantifizierung
Verhaltensreaktionen zu quantifizieren ist leider ziemlich schwierig, weil wir als Beobachter häufig zu ungenau darin sind, alle Zeichen und Ausprägungen zu erkennen. Außerdem sind Pferde Meister darin, ihre Emotionen zu vertuschen – wäre nicht so vorteilhaft, dem Raubtier zu zeigen wie labil man ist, oder?
Wissenschaftliche Studien benötigen aber Messwerte, die zwischen verschiedenen Situationen mit unterschiedlichen Umständen verglichen werden können. Das ist manchmal richtig schwierig, geeignete Maße zu finden!

Messwerte
Um Stress(-reaktionen) aussagekräftig zu quantifizieren ist es am besten, mehrere Parameter zu messen und Verhaltensbeobachtungen zusätzlich aufzunehmen. Die verlässlichsten Messwerte für Furcht und Angst scheinen der Puls und die Pulsvariabilität zu sein [4,5,6,7]. Die Veränderung der Augentemperatur zu messen, wird momentan noch erforscht, scheint so weit sehr verlässlich für Furcht, Angst und Unbehagen zu sein, aber die Technik ist noch nicht 100% ausgereift [8,9].
Dann wäre da noch Cortisol
das Stresshormon schlechthin, dessen Konzentration über den Speichel, Urin, Kot, oder die Haare messen kann – ganz non-invasiv und relativ einfach auch für Laien. Während die Cortisol-Konzentration im Speichel Aufschluss über den akuten (kurzzeitigen) Stress geben kann, gibt die Konzentration in Kot und Haaren Aufschluss über langfristigen (chronischen) Stress. Eine hohe Cortisol-Konzentration ist aber nicht per se schlecht, sondern kann auch ein Zeichen für positiven Stress sein; oder zeigt einfach nur die erhöhte Aktivität (z.B. beim Reiten) an [4,10].
Zusammenfassend
ist (wie so oft) alles ziemlich relativ zu bewerten. Die Veränderung eines Messwertes kann viele auslösende Faktoren haben; wenn sich aber mehrere Messwerte in die gleiche Richtung verändern, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese Veränderungen auf den gleichen Faktor (in unserem Fall dem Stressor) zurückzuführen sind. Trotzdem sind (zusätzliche) Verhaltensbeobachtungen unerlässlich, um eine Stressreaktion akkurat zu bewerten, insb. wenn es um akuten Stress, bzw. Stresssituationen in Bewegung geht. Außerdem geben die physiologischen Messwerte (abgesehen von Plus(-Variabilität)) eher einen Überblick über die Erregung oder das Aktivitätslevel, die Verhaltensbeobachtungen dafür einen Überblick über die wahrgenommene Bewertung einer Situation.
Verhaltensbeobachtungen
sind also unerlässlich. Um was geht es da? Wir wissen, dass Pferde am liebsten erstmal fliehen (Stichwort: Fluchttier), wenn sie mit einem Stressor konfrontiert werden. Wenn eine Flucht aber nicht möglich ist, dann starten Pferde einen Kampf, um sich aus der unangenehmen Situation zu befreien. Wenn auch kein Kampf möglich ist, dann kommt es zu Konfliktverhalten (z.B. Flucht-, Vermeidungsverhalten), das z.B. auch entsteht, wenn die Stresssituation eher chronisch auftritt. Dieses Konfliktverhalten ist zunächst einfaches Flucht- oder Vermeideverhalten, kann aber auch abnormales Verhalten (Verhalten, das zu der Situation gerade nicht passt) sein, oder sich zu Stereotypien (immer wieder gleich ablaufende Verhaltensmuster) entwickeln. Wie gesagt können diese Verhaltensweisen von sehr vielen Faktoren abhängen und die Reaktion eines Pferdes wird schwer vergleichbar zur Reaktion eines anderen Pferdes [10,11].
In Stress-Experimenten
werden Pferde typischen Stresssituationen ausgesetzt und dann (unter Anderem) ihr Verhalten beobachtet. Bei der plötzlichen Konfrontation mit einem unbekannten Objekt, wird z.B. die „startle response“ als Furcht- oder Angst-Reaktion ausgewertet: Wie fällt die typische, schnell aufeinanderfolgende Muskelkontraktion aus, bei der 1) der Kopf vorwärts gestoßen wird und 2) eine abwärtsführende Beugewelle über Rumpf und Knie zu sehen ist [12,13]?
Die Horse Grimace Scale & vergleichbare Skalen
sind umfangreiche Sammlungen von Gestiken, Mimik und Körperhaltungen von Pferden in Relation zu Schmerzreizen und damit auch anwendbar auf (schmerzbedingte) Stressoren [14,15,16]. Diese Skalen finde ich sehr hilfreich, um die Wahrnehmung meiner Trainingspferde zu bewerten: Wie fühlt sich das Pferd in der Situation? Wie schnell kann es sich von einer (kurzzeitig) stressigen Situation wieder beruhigen? Wie ist die Erwartungshaltung des Pferdes auf das anstehende Training? Fühlt sich das Pferd bereits vor dem Training unwohl?
Beispiel 1: Welche Effekte haben physisches Training, Stress oder Ruhe auf das Lernverhalten?
Hintergrund
Bei körperlicher Aktivität steigen der Sauerstoffverbrauch und die Stoffwechselaktivität. Dadurch erhöht sich die Herzaktivität und physiologische Prozesse werden in Gang gesetzt, um Energieressourcen bereitzustellen, auf die Aktivität angemessen zu reagieren [17,18]. Dass körperliche Aktivität einen Einfluss u.a. auf Kognition (im weitesten Sinne also Lernverhalten) haben kann, deuten verschiedene Studien an [19,20,21]. Bevor wir mit unseren Pferden wirklich anfangen zu arbeiten, wärmen wir die Pferde auf (hoffe ich doch, dass du das auch machst!). Damit wollen wir nicht nur bezwecken, dass sich der Körper des Pferdes auf die körperliche Aktivität vorbereitet und sich das Pferd geschmeidiger bewegen kann. Wir wollen das Pferd auch mental darauf vorbereiten, jetzt aufmerksam auf unsere Hilfen und die anstehenden Trainingsaufgaben zu sein [22].

Was steckt dahinter?
Bei körperlicher Aktivität werden Neurotransmitter freigesetzt, u.a. Glucocorticoide und Noradrenalin, die dafür zuständig sind genügend Energie bereitzustellen, um den Organismus in Aktivität zu versetzen [23,24,25] – Moment, kommt dir bekannt vor? Richtig! Die Neurotransmitter-Freisetzung gleicht der Stressreaktion!
Bei einer gewissen körperlichen Aktivität steigen Adrenalin und Noradrenalin Konzentrationen und auch der Puls erhöht sich [26] – alles Anzeichen, die auch auf die oben beschriebene „startle response“ zutreffen. Und was dazukommt: diese Effekte der körperlichen Aktivität könnten negative Effekte von Stress auf das Lernverhalten ausgleichen [27,28]. Du kennst das ja sicher: wenn du Stress hast, tut Bewegung richtig gut, um dich danach wieder besser konzentrieren zu können, oder?
Bei Stress kann das Gehirn nicht mehr klar denken. Das Gehirn wird quasi auf Autopilot gesetzt, überlebenswichtige Körperfunktionen werden weiter ausgeführt, aber der Rest wird zurückgefahren. Alles, um eine potenzielle Gefahr abzuwehren. Das heißt auch, dass das Gehirn nicht mehr in der Lage ist abzuwägen, welche Aktion in der Stresssituation die passendste ist [29,30] – ist es also auch nicht in der Lage, neue Dinge zu lernen? Relativ klar ist, dass der Einfluss auf das Lernverhalten davon abhängt, wann und wie ausgeprägt der Stressor wirkt, ob er vorhersehbar ist/war und inwiefern er kontrollierbar ist – unkontrollierbarer Stress hat jedenfalls negative Auswirkungen auf das Lernverhalten [31,32,33].
Wenn körperliche Aktivität und Stress die gleichen Stoffwechselreaktionen und Neurotransmitterfreisetzungen zur Folge haben, haben sie dann auch den gleichen Einfluss auf das Lernverhalten?
Um das herauszufinden, wurde untersucht, wie sich körperliche Aktivität (Reit-Training) und unkontrollierbarer Stress (unvorhersehbare & plötzliche Stressoren) im Vergleich zu einer Kontrollsituation (Ruhe) auf das Lernverhalten (Weichen der Hinterhand) auswirken [Henshall et al. 2022: 34]. Die 41 Pferde sollten lernen mit der Hinterhand zu weichen, wenn sie mit einer Gerte an der Hinterhand angetippt wurden – eine klassische Trainingssituation mit Einsatz der negativen Verstärkung (d.h. das Tippen wird so lange ausgeführt, bis das Pferd mit der Hinterhand weicht). Die Forschenden erwarteten, dass die körperliche Aktivität (Reit-Training) vor der Trainingssituation den Lernerfolg verbessern würde – im Vergleich zur Stress-, bzw. Ruhe-Situation.
Methoden
Es wurden Stuten, Hengste und Wallache verschiedenen Alters getestet, die ein minimales Trainingslevel aufwiesen und damit im Schritt, Trab und Galopp am losen Zügel geritten werden konnten, aber auf ein Gertentippen an der Hinterhand (vor dem Test) nicht wichen. Zunächst wurde von den Pferden eine Speichelprobe genommen, um die Cortisol-Konzentration vor dem Test zu bestimmen. Außerdem trugen die Pferde einen Pulsgurt, um die Herzfrequenz durchgehend zu messen. Dann erfolgte die 22-minütige Manipulation:
- Körperliche Aktivität (Reit-Training): 13 Pferde wurden ruhig am losen Zügel im gleichen Schritt-Trab-Galopp-Muster geritten, inkl. Handwechsel, aber ohne größere Zügel-/Schenkelhilfen oder sonstige Beeinflussung der Kopfhaltung bzw. Bewegungsmuster
- Unkontrollierbarer Stress: 14 Pferde wurden frei im Roundpen verschiedenen Stressoren (sich bewegende Gymnastikbälle, Plastikplanen) ausgesetzt, ohne dass sich die Pferde diesen Stressoren entziehen, oder sie kontrollieren konnten
- Kontrollsituation (Ruhe): 14 Pferde blieben nach der Speichelprobe an der Stelle angebunden und konnten sich damit nur geringfügig bewegen
Direkt nach dieser Manipulation wurde zunächst nochmal eine Speichelprobe genommen und dann erfolgte die Trainingsaufgabe: In Blöcken von 5 Ansätzen wurde auf einer Skala bewertet, ob und inwiefern das Pferd mit der Hinterhand weicht: Eine 1 bedeutete, dass das Pferd 0-1 Tritte wich, eine 2, dass es 2 Tritte wich und eine 3, dass es 3 oder mehr Tritte wich. Das Gertentippen wurde dabei immer im gleichen Rhythmus, an der identischen Position und mit geringer Intensität ausgeführt (diese Präzision ist essenziell bei solchen Experimenten!), bis das Pferd zum Weichen ansetzte. Sobald das Pferd ein Lernkriterium (zwei Tritte weichen nach max. zweimal Tippen in drei aufeinanderfolgenden Ansätzen) erreichte, war der Test beendet und es wurde nochmal eine Speichelprobe genommen, um die Veränderung der Cortisol-Konzentration zu bestimmen.
Ergebnisse
- Pferde, die das Reit-Training vor der Trainingsaufgabe gemacht hatten, erreichten das Lernkriterium am schnellsten. Außerdem war ihre Cortisol-Konzentration nach der Trainingsaufgabe gesunken, im Vergleich zur Cortisol-Konzentration nach dem Reit-Training.
- Pferde, die Stress ausgesetzt waren, haben das Lernkriterium genauso schnell erreicht, wie Pferde, die vor der Trainingsaufgabe in Ruhe waren. Außerdem waren bei beiden Gruppen die Cortisol-Konzentrationen nach der Trainingsaufgabe erhöht.
- Je höher die Cortisol-Konzentration war, desto mehr Ansätze haben die Pferde gebraucht, um das Lernkriterium der Trainingsaufgabe zu erreichen (der Puls war aber nicht ausschlaggebend).
- Die Cortisol-Konzentration war bei Aktivität und Stress im Vergleich zur Ruhe-Situation erhöht, senkte sich aber bei Aktivität-Pferden nach der Trainingsaufgabe, während sie bei Stress-Pferden nach der Trainingsaufgabe weiter angestiegen war.
- Der Puls war bei Aktivität und Stress im Vergleich zur Ruhe-Situation erhöht und stieg bei den Aktivität-Pferden im Reit-Training weiter an, während er bei den Stress-Pferden in den letzten 5 min absank.
Diskussion
- Die durch körperliche Aktivität ausgelöste Neurotransmitter-Freisetzung (Noradrenalin, Cortisol) hat wohl einen positiven Effekt auf das Lernverhalten [35]. Die HPA-Reaktion führt dazu, dass Cortisol-Konzentrationen steigen [36], Cortisol regulierende Effekte starten allerdings kurz nach Anstieg der Cortisol-Konzentration [35], wodurch auch die Informationsübertragung zwischen Nervenzellen positiv beeinflusst wird [37] und damit wahrscheinlich Lernen fördert.
- Die Stress-Situation war darauf ausgerichtet, Flucht-/Meideverhalten auszulösen, das mit der erhöhten Cortisol-Konzentration zusammenpasst. Durch den intensiven Stress wurden wahrscheinlich vermehrt Glucocorticoide und Noradrenalin ausgeschüttet, um den Fokus auf den Stressor nicht zu verlieren, allerdings auf Kosten der Aufmerksamkeit für andere Reize [38] (wie der Trainingsaufgabe). Dieses Meideverhalten könnte mit der in der Trainingsaufgabe angewendeten negativen Verstärkung wechselwirken, bzw. hat die Stress-Situation die Pferde auf Stressoren sensitiviert, dadurch das Meideverhalten weiter verstärkt [39], im Gegenzug aber das Lernen behindert, weil der „Autopilot“ sich nicht mehr auf die Details der Trainingsaufgabe fokussieren konnte [35,40].
- Die Ruhe-Situation hat ggf. auch Stress ausgelöst, weil die Pferde sich nicht wie gewollt bewegen, bzw. sich aus der Situation befreien konnten, wodurch die Cortisol-Konzentration wahrscheinlich anstieg. Der geringe Puls deutet aber auf eine ausbleibende HPA-Reaktion und damit eine ausbleibende Regulierung der Cortisol-Konzentration hin, weshalb das Lernen nicht erleichtert wurde.
Schlussfolgerungen
Moderate Bewegung mit geringer kognitiver Anstrengung kann einen positiven Effekt auf das Lernverhalten haben. Dabei spielt insb. die erhöhte Cortisol- und Noradrenalin-Konzentration und entsprechende regulierende Prozesse eine entscheidende Rolle, die die Informationsübertragung zwischen Nervenzellen positiv beeinflussen und damit Lernen fördern. Demnach hilft ein kurzes, reizarmes körperliches Aufwärmen nicht nur, das Pferd auf die folgenden Bewegungen vorzubereiten, sondern auch, sich mental auf die folgenden Aufgaben einzustellen und leichter zulernen.
Zu viel Stress, insb. wenn er unkontrollierbar ist, führt allerdings dazu, dass der Organismus sich auf das Wesentliche fokussiert und detaillierte Informationen (z.B. einer Trainingsaufgabe) nicht effizient aufnehmen und verarbeiten kann. Deshalb ist darauf zu achten, hohe Cortisol-Konzentrationen (egal, ob vom Training verursacht, oder von anderen Faktoren, wie der Haltung oder dem Umgang) zu vermeiden, bzw. das Training nach einer solchen Stress-Situation zu verschieben.
Beispiel 2: Inwiefern beeinflusst Stress instrumentelles Lernen in Abhängigkeit der Verstärkung?
Hintergrund
Nach dem Yerkes-Dodson Gesetz kann man sich die Beziehung zwischen einer Stresseinwirkung und der Leistungsfähigkeit in einer kognitiven Aufgabe als umgedrehtes U vorstellen: zunächst steigt die Leistungsfähigkeit mit steigendem Stress an, bis ein „optimales Stresslevel“ erreicht wird und die Leistungsfähigkeit am höchsten ist. Mit weiter steigendem Stress sinkt die Leistungsfähigkeit dann aber wieder ab, was auch mit der Schwierigkeit der kognitiven Aufgabe zusammenhängt [41]. Das hast du jetzt schon mehrfach gelesen, stimmts? 😉 Nochmal, kurz: Der Effekt, den Stress hat, kann durch die Ausschüttung von Neurotransmittern bestimmt werden und ist abhängig davon, wie ein Pferd den Stress wahrnimmt, ob er kontrollierbar ist oder nicht, und in welchem Zusammenhang er mit der aktuellen Aufgabe steht [42,43]. Das Stresslevel bestimmt, inwieweit sich ein Pferd auf eine Aufgabe konzentrieren kann, welche Motivation es hat, auf (mehr oder weniger bedeutsame) Reize zu reagieren und welche kognitiven und motorischen Prozesse auf „Autopilot“ oder noch aktiv steuerbar sind [35,40]. Lies das ausführlicher auch weiter oben nochmal nach…

Wenn Stress die Leistungsfähigkeit, bzw. das Lernverhalten beeinflusst, gibt es dann Unterschiede zwischen extrinsischem Stress (unabhängig von der Aufgabe) und intrinsischen Stress (abhängig von der Aufgabe)?
Die Idee ist, dass die Leistungsfähigkeit, bzw. das Lernverhalten durch einen gewissen intrinsischen Stress gefördert wird, während extrinsischer Stress zu verringerter Aufmerksamkeit führt und dadurch die Leistungsfähigkeit, bzw. das Lernverhalten behindert. Um diese Zusammenhänge zu untersuchen, wurden 60 Welsh Ponys in vier gleiche Gruppen (à 15 Tiere) aufgeteilt, um eine Trainingsaufgabe mit unterschiedlicher Stresseinwirkung zu lernen [Valenchon et al. 2017: 44]: die Ponys sollten lernen, auf Handzeichen entweder in den linken oder rechten Bereich eines Testraums zu gehen. Dabei wurde entweder die positive Verstärkung angewendet, indem die Ponys eine Futterbelohnung bekamen, sobald sie in die angezeigte Richtung gingen; oder die negative Verstärkung, indem die Ponys mit einer Gerte angetippt wurden (intrinsischer Stressor), um in die angezeigte Richtung zu gehen und das Gertentippen aufhörte, sobald sie in die Richtung gingen. Die Hälfte der Ponys wurde vor dieser Aufgabe verschiedenen extrinsischen Stressoren ausgesetzt.
Methoden
Es wurden Welsh-Ponys im durchschnittlichen Alter von 9 Jahren getestet, die an normales Handling gewöhnt waren, also halfterführig waren und es kannten, angebunden zu sein.
Vor dem eigentlichen Test wurden die Ponys in verschiedenen standardisierten Persönlichkeitstests getestet, um ihre Ängstlichkeit, Geselligkeit, Reaktivität gegenüber Menschen, Bewegungsaktivität und ihren Tastsinn zu quantifizieren. Dann gab es noch eine Gewöhnungsphase, um die Ponys mit dem Testraum vertraut zu machen, bevor sie dann entsprechend ihrer zugeteilten Testgruppe ggf. Stressoren ausgesetzt wurden und dann die Trainingsaufgabe durchliefen:
- PR (15 Ponys): Trainingsaufgabe mit positiver Verstärkung: Futterbelohnung, sobald das Pony den angezeigten Bereich betritt
- NR (15 Ponys): Trainingsaufgabe mit negativer Verstärkung: Gertentippen wird gestoppt, sobald das Pony den angezeigten Bereich betritt
- PR+ES (15 Ponys): wie PR, aber vor der Aufgabe wurde das Pony extrinsischen Stressoren ausgesetzt
- NR+ES (15 Ponys): wie NR, aber vor der Aufgabe wurde das Pony extrinsischen Stressoren ausgesetzt
Die Trainingsaufgabe wurde in Blöcken von 15 Ansätzen durchgeführt, mit steigendem Schwierigkeitsgrad (das Handzeichen wurde immer subtiler), sobald das Pony verlässlich auf das entsprechende Handzeichen reagierte. Vor dem Handzeichen wurde zunächst das (Stress-)Verhalten beobachtet: sucht das Pony den Kontakt zum Menschen, dreht es sich zu den (vorher sichtbaren) Beistellern um, ist es in Alarmbereitschaft, schnaubt es, zeigt es Anzeichen einer „startle response“, sind die Ohren rückwärtsgerichtet, erkundet es die Umgebung, äppelt es, steht es unruhig? Vor und nach dem ersten und dritten Block der Trainingsaufgabe wurden außerdem Speichelproben genommen, um eine Veränderung der Cortisol-Konzentration zu bestimmen. Als Maß für den Lernerfolg wurde die Anzahl der Ansätze bis zum Erreichen des ersten Lernkriteriums (in 5 aufeinanderfolgenden Ansätzen in weniger als 5 s in den angezeigten Bereich gehen; Lerngeschwindigkeit) und die maximal erreichte Lernstufe (1–4, in Abhängigkeit des Schwierigkeitsgrads des Handzeichens) notiert.
Bevor die Ponys diese Trainingsaufgabe durchliefen, waren sie 30 s in einem angrenzenden Bereich in dem sie entweder Beisteller sehen konnten (PR, NR) oder extrinsischen Stressoren ausgesetzt wurden (PR+ES, NR+ES). Die Stressoren waren jeweils 10-sekündige Intervalle von plötzlichen lauten Geräuschen (Hundegebell, Klingeln, lautes Reden), plötzlichen Events (Fahnenflackern, Wasser-/Luftstrahl), Darbietung eines unbekannten Objekts (bunte Pappbox, bunte Ballons).
Ergebnisse
- PR und NR Ponys zeigten ein vergleichbares Lernverhalten: die Lerngeschwindigkeit, die erreichte Lernstufe, die Verhaltensbeobachtungen und die Veränderung der Cortisol-Konzentration war vergleichbar.
- PR+ES/NR+ES Ponys zeigten eine geringere Leistungsfähigkeit als PR/NR Ponys. Der Effekt war jedoch weniger stark ausgeprägt beim Vergleich zwischen NR+ES und NR Ponys. PR+ES/NR+ES Ponys zeigten außerdem stressbedingte Verhaltensänderungen (erhöhte Alarmbereitschaft, startle response, zu Beisteller drehen, rückwärtsweisende Ohren, Schnauben) und PR+ES Ponys auch eine erhöhte Cortisol-Konzentration im Vergleich zu PR Ponys.
- Das Lernverhalten variierte je nach Persönlichkeitsmerkmalen und in Abhängigkeit der intrinsischen/extrinsischen Stressoren: ängstliche NR-Ponys lernten am besten, aber am schlechtesten wenn sie vorher Stress ausgesetzt wurden (NR+ES); ängstliche PR-Ponys lernten am schlechtesten, unabhängig davon, ob sie vorher Stress ausgesetzt waren (PR+ES) oder nicht (PR)
Diskussion
- Positive und negative Verstärkung können einen vergleichbaren Lernerfolg hervorrufen.
- Extrinsische Stressoren können einen negativen Effekt auf den Lernerfolg haben, wenn mit positiver Verstärkung gearbeitet wird: mit der Stressreaktion des Organismus sinkt auch die Futtermotivation [45], um möglichst viel Energie für eine potenzielle Fight-or-flight-Reaktion bereitzustellen; dadurch bleibt der belohnende Effekt (Futterbelohnung) aus, was den Lernprozess verlangsamt und zu einer zusätzlichen Stresssituation (ausbleibende Belohnung, fehlende Problemlösung) führt
- Durch extrinsische Stressoren herbeigeführter Stress kann durch intrinsischen Stress der negativen Verstärkung ausgeglichen werden [41,46]: Pferde können sich u.U. besser darauf konzentrieren, dem dargebotenen Reiz auszuweichen und damit eine eigenständige Lösung für ihre aktuelle Stresssituation finden. Diese Selbstwirksamkeit ist wohl auch ausschlaggebend dafür, dass die Cortisol-Konzentration bei NR+ES Ponys während der Trainingsaufgabe absank.
- Der Einfluss der Persönlichkeit ist aufgrund der kleinen Stichprobe nicht klar festzustellen, aber die Ergebnisse zeigen, dass insb. ängstlichere Ponys intensiver auf intrinsische/extrinsische Stressoren reagieren [47,48].
Schlussfolgerungen
Stress kann die Leistungsbereitschaft und das Lernverhalten beeinflussen, je nachdem inwiefern extrinsische und intrinsische Stressoren mit einer Trainingsaufgabe in Zusammenhang stehen. Unter optimalen Bedingungen kann die Anwendung von positiver und negativer Verstärkung zu einem ähnlichen Lernerfolg führen. Erfährt das Pferd aber extrinsischen (vom Training unabhängigen Stress), so führt die Anwendung der negativen Verstärkung zu einer besseren Leistungsbereitschaft und einem größeren Lernerfolg als die positive Verstärkung.
Die Persönlichkeitsausprägung eines Pferdes bestimmt, inwiefern es von Stressoren beeinflusst wird und inwiefern die Stressoren sein Lernverhalten beeinflussen. Darum ist es wichtig, das Training individuell auf die Persönlichkeit, sowie die aktuellen Bedürfnisse und Möglichkeiten eines Pferdes abzustimmen.
Beispiel 3: Beeinflusst der Einsatz von Reitschulpferden ihr Wohlbefinden?
Hintergrund
Reiten – wir lieben es! Jeder fängt aber mal klein an und braucht gute Lehrmeister (Pferde, sowie Reitlehrer), mit denen man die vielfältigen Gewichts-, Schenkel- und Zügelhilfen, und alles was sonst noch zum Reiten dazugehört, lernen kann. Wir haben eine enorm ansteigende Reitkultur, in der Reitschulen ein wichtiger Bestandteil für ein Fundament der reiterlichen Ausbildung sind. Das Problem dabei: Die Pferde werden dem alltäglichen Stress durch unstimmige Signale von Reitanfängern ausgesetzt, müssen mehrere Reitstunden Arbeit verrichten und das alles muss auch noch für die Reitschule finanziell erschwinglich bleiben [49,50]. Haltungsformen und auch der tägliche Einsatz einzelner Pferde werden immer weiter optimiert, aber allein die Reitstunde könnte schon ein großer Stressor für Pferde sein.
Reitschulpferde haben eine relativ monotone Arbeit, werden kaum neuen Reizen ausgesetzt (außer, sie werden auch auf Turnieren eingesetzt), und dabei von vielen verschiedenen (meist unerfahreneren) Reitern geritten. Die Reiter variieren nicht nur in ihrem Können (Hilfengebung, Zusammenarbeit mit dem Pferd), sondern auch in Gewicht, Größe und Einfühlsamkeit. Das ist ja auch alles vollkommen verständlich und (leider?) unumgänglich. Aber evtl. ist das der Grund, warum viele Schulpferde als „faul“ oder „triebig“ eingeschätzt werden, oder sogar apathisch oder lethargisch wirken [51,52]. Zum einen kann das gewollt sein, weil dieses unreaktive Verhalten das Reiten „sicherer“ macht. Zum andern kann das aber auch ein physiologischer Indikator von Stress sein [53], weil das Schulpferd wiederholt aversiven Reizen (Zügelhilfen, unbalancierte Reiter, Schenkelhilfen) ausgesetzt wird, ohne, dass es aus der Situation entlassen wird (als Antwort auf das richtige Reagieren des Pferdes). Das ist leider unvermeidbar, kann aber evtl. Furcht und Stress, oder sogar emotionale Depression (Stichwort: erlernte Hilflosigkeit [51]) auslösen: Das Pferd hat keine Kontrolle über unangenehme, verletzende Situationen, seine Verhaltensantworten sind nutzlos, weil sie nicht zu einer Verbesserung der Situation führen, wodurch das Pferd sozusagen hilflos wird.

Inwiefern beeinträchtigt der Einsatz im Reitunterricht das Wohlbefinden von Schulpferden?
Um den Zusammenhang zwischen physischem/emotionalen Stress und dem Arbeitspensum von Schulpferden, sowie den Auswirkungen auf deren Wohlbefinden [54,55] näher zu untersuchen, wurden 30 Schulpferde über sechs Wochen beobachtet. Vor und nach Ruhe- bzw. Arbeitstagen (moderate oder schwere Arbeit, gemessen an der Anzahl der Reitstunden) wurden verschiedene Parameter aufgenommen, um die Stressreaktion zu bewerten: die Augentemperatur, der Puls, sowie die Horse Grimace Scale [Ijichi et al. 2023: 56].
Methoden
Es wurden Stuten und Wallache verschiedenen Alters und verschiedener Rassen getestet, die alle erfahrene Reitschulpferde waren, gute Haltung genossen und deren Reiter in Bezug auf Größe/Gewicht und Erfahrung an das Pferd und dessen Persönlichkeit angepasst waren. In einer normalen Arbeitswoche hatten die Pferde zwei Ruhetage und an den restlichen fünf Tagen ein moderates (1-2 h/Tag) bis hohes Arbeitspensum (3-4 h/Tag).
In der Studie wurden nur Reitstunden (und damit Arbeitstage) berücksichtigt, in denn die Pferde Schritt, Trab und Galopp geritten wurden, teilweise auch mit kleinen Sprüngen (max. 70 cm, was vergleichbar zu Galopparbeit ist), und nur wenn diese Reitstunden im Heimatstall in gewohnter Umgebung stattfanden.
Als Parameter für potenzielle Stressreaktionen wurde eine Stunde nach dem Arbeitstag die Augentemperatur mittels Infrarot Thermographie (30 min), sowie der Puls mittels eines Brustgurts (3 min) gemessen. Außerdem wurde der Gesichtsausdruck über Videoaufnahmen (1 min) mit der Horse Grimace Scale evaluiert, indem sechs „facial action units“ (FAU [14]) auf einer Skala (0: meist nicht zu sehen; 1: moderat zu sehen; 2: zu sehen) bewertet wurden. Die einzelnen Werte wurden pro Pferd, Arbeitspensum und FAU summiert:
- Starr rückwärtsweisende Ohren
- (Teilweise) geschlossene, abwesende Augen
- Muskelanspannungen um die Augen
- Angespannte Kaumuskulatur
- Angespannte Maulpartie und hervorstechendes Kinn
- Angespannte, flach erscheinende Nüstern
Ergebnisse
- Die Augentemperatur hat sich nicht in Relation zum Arbeitspensum unterschieden.
- Der Puls hat sich nicht in Relation zum Arbeitspensum unterschieden, die Werte waren allesamt im normalen, gesunden Bereich, ohne auf eine stressbedingte sympathische Aktivität schließen zu können (dann wäre die Pulsvariabilität geringer [6]
- Die Auswertung der Horse Grimace Scale zeigt deutliche Unterschiede zwischen Ruhetagen und Arbeitstagen, mit mehr sichtbaren Stressanzeichen an (moderaten und schweren) Arbeitstagen als an Ruhetagen.
Diskussion
- Ein erhöhtes Arbeitspensum führt zu einer moderaten Stresswahrnehmung bei Reitschulpferden. Physiologische Parameter zeigen aber, dass ein potenziell erhöhtes Stresslevel bereits 1-2 h nach den Reitstunden zum Normalzustand zurückgekehrt ist.
- Anzeichen von Schmerz und Unwohlsein waren bei den Schulpferden auch an Ruhetagen sichtbar, allerdings nie exzessiv hoch (d.h. immer unter einer Summe von 6), wobei der Einfluss von Müdigkeit [57] und die Dauer der Regeneration nicht einschätzbar waren.
Schlussfolgerungen
Ein wöchentliches Arbeitspensum von bis zu 3-4 Reitstunden an 1-2 Tagen und bis zu 2 Reitstunden an weiteren 3-4 Tagen ist für gesunde, gut konditionierte Schulpferde in guter Haltung akzeptierbar. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass Reitschüler und Schulpferd persönlich, körperlich und in ihrem Ausbildungsstand zusammenpassen. Dann ist davon auszugehen, dass ein erhöhtes Arbeitspensum zwar das Unwohlsein des Schulpferdes erhöht, seine Bewältigungsstrategien aber nicht so sehr beeinflusst, dass das Schulpferd anhaltend unter einer potenziellen Reitstunden-Stress-Situation leidet.
Fazit

Zusammengefasst deuten viele Studien darauf hin, dass Stress das Lernverhalten situationsbedingt beeinflussen kann. Es ist insbesondere darauf zu achten,
- Pferde vor einer anspruchsvollen Trainingsaufgabe angemessen aufzuwärmen: das hat nicht nur körperliche Vorteile, sondern bereitet das Pferd auch mental auf die anstehende Lernsituation vor.
- Training zu verschieben, wenn das Pferd unkontrollierbarem Stress ausgesetzt wurde: in dieser Situation ist das Pferd nicht in der Lage, sich auf die Signale zu konzentrieren und kann Zusammenhänge zwischen Signalen und den erwarteten Verhaltensweisen nicht lernen.
- Reiter entsprechend ihrem Können der Persönlichkeit und Stressresistenz des Pferdes anzupassen: so kann gewährleistet werden, dass sich das Pferd nach Reiteinheiten erholen kann, ohne eine langanhaltende Stressreaktion und damit Unwohlsein zu generieren.
Stress erkennen
DU kannst Anzeichen von Stress auch selbst erkennen und brauchst dafür nicht (unbedingt) besonderes Equipment. Was allerdings wichtig ist: du solltest wissen, wie der Normalzustand deines Pferdes ist. Was ist der Ruhepuls, wie verändert sich der Puls unter körperlicher Aktivität? Hat dein Pferd anatomische Besonderheiten, weshalb sein Gesicht angespannter erscheint, als es eigentlich ist (z.B. Alter)?

Und dann beobachte dein Pferd aufmerksam, insb. die Muskeln im Gesicht können sehr hilfreich sein, um das (Un-)Wohlsein deines Pferdes relativ verlässlich zu bestimmen!
- Wie häufig blinzelt dein Pferd? Sind die Muskeln um die Augen angespannt? Kaut dein Pferd? Sind die Kaumuskeln angespannt? Wohin zeigen die Ohren? Sind sie entspannt oder starr fixiert?
- Wie bewegt sich dein Pferd? Kannst du flüssige Bewegungen sehen, oder sind (einzelne) Gelenke eher steif? Zeigt dein Pferd Abwehrbewegungen? Schlägt es mit dem Schweif? Ist es besonders unruhig?
- Wie sieht es im längeren Verlauf aus: Verändert sich das Fress- oder Ruheverhalten deines Pferdes? Nimmt es ab oder zu? Erscheint es müde? Wird es häufig(er) krank?
Sei achtsam mit und auf dein Pferd! Beobachte es sorgfältig und sei sensibel für (plötzliche) Abweichungen von seinem Normalverhalten.
Du hast Fragen dazu oder kannst nicht sicher einschätzen, ob das Verhalten deines Pferdes jetzt normal ist oder schon auf eine Stressreaktion hindeutet?
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